Natural Games in Millau 2010

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 Warum gerade Millau, könnte jemand fragen. Sind doch fast 20 Stunden Anreise von Graz (mit dem Auto).
Die Argumente sind vielfältig: Die lässige Stimmung (Konzerte wechseln sich ab mit Dirt-Jump-Shows), die Highlines (die Berge dort scheinen nur aus steilen Felspfeilern zu bestehen), der Contest (wo ich letztes Jahr den zweiten Platz belegte) und natürlich die exquisite Gästeliste.

Auf dieser stand ganz oben der Name Scott Balcom. Klingelt's da bei den meisten? Er beging die ersten Highlines, vor allem jene am Lost Arrow Spire – das war 1985. Außerdem schrieb er das erste Buch über unseren Sport. Ich freute mich darauf, mir meine eigene Ausgabe davon signieren zu lassen. (Tatsächlich signierte ich im Gegenzug mein eigenes Buch für ihn. Das war ein großer Moment.)
Dazu kamen noch Andy Lewis, Mike Payton, Jan Galek und Faith Dickey.

Die lange Anreise war dennoch hart. Ich fuhr zuerst (mit Flo aus Graz) nach Freising, wo ich Lukas Irmler und Freddy Zimmermann traf. Um die lange Fahrzeit erträglich zu machen, lockerten wir uns um 2 Uhr nachts ein wenig auf – mit einer Highline! Eine solche hatte Bernhard Witz, den wir in Bern aufgabelten, nämlich von seinem Balkon aus zu einem Baum hin gespannt. Wir ließen es uns nicht nehmen, diese bei Scheinwerferlicht zu probieren.

Als wir am folgenden Tag in Millau ankamen, erwarteten uns – mehr Highlines. Diesmal gab es einen anderen Spot als letztes Jahr. Das war schade, denn ich hätte gern die Highlines von damals wieder probiert. Ich wusste ja nicht, was kommen würde …
Der Zustieg war dieses Mal jedenfalls gemütlicher: Nach weniger als einer Viertelstunde Wanderung tat sich vor uns Leere auf. Zwischen einigen Felsen flatterten bunte Bänder im Wind. Genauer gesagt gab es: Eine 12m, eine 25m, eine 26m und eine 42m lange Highline, und alle direkt nebeneinander. Die Jungs und Mädels von Slack.fr waren noch am Aufbauen, aber es dauerte nicht lange, bis wir sie probieren konnten. Sie waren vom Feinsten, wie wir es erwartet hatten.

Die Highlines waren es auch, die uns den größten Teil der Woche beschäftigten. Dazwischen gab es einmal eine Waterline über die Tarn in Millau, 60m lang (über seichtem Wasser mit Felsen darin, bei denen mir kalte Schauer über den Rücken liefen). Schließlich bauten die Jungs eine weitere Highline auf, die sie richtigerweise als „Monster“ bezeichneten: 86m lang. Daran bissen sich alle die Zähne aus, bis ein gewisser Mich Kemeter aus der Steiermark, der mir nicht ganz unbekannt ist, allen zeigte, wie es ging. Er holte sich die Begehung dieser beeindruckenden Leine. Respekt, Mich!

Zu diesem Zeitpunkt war ich in Gedanken bereits auf der Jumpline. Nach dem Erfolg vom letzten Jahr wollte ich mich wieder einmal einer Wettkampfsituation stellen und sehen, ob ich ein weiteres Mal unter Druck zu meiner Lockerheit finden würde.
In der Quali lief es sehr fein: Ich setzte einen Backflip, einen 360 und einige lässige Combos aufs Band.
Das Finale wurde im KO-System ausgetragen. Ich traf auf Jan Galek und wir hatten vier Minuten Zeit, um uns zu messen. Während sich Jan beeindruckend steigerte, konnte ich meine Tricks, speziell den Flip, nicht stehen und übersah, dass mir die Zeit davonrannte. Die statischen Tricks gingen locker, doch am Ende hieß es plötzlich „last Trick“, und es war vorbei. Ich hatte nicht einmal einen Buttbounce probiert.
Kurz: Jan war besser. Den Flip konnte ich nach dem Contest im ersten Versuch stehen – das war für mich ein kleiner Trost.
Wie ging der Contest weiter? Jan traf in der nächsten Runde auf Mike Payton – dort war Endstation. Lukas Irmler maß sich mit Andy Lewis, dem Sieger vom letzten Jahr, und schaffte die Überraschung: Während er den Backflip souverän stehen konnte und einige lässige Combos zeigte, konnte Andy beinahe seinen Backflip 360 stehen – aber eben nur beinahe. Deshalb – Andy raus, Finale zwischen Mike und Lukas. Dort zeigte Mike groß auf: Frontflips und mächtige Buttbounce-Combos brachten ihm den Sieg. Das Ergebnis hieß also: 1. Mike, 2. Lukas, 3. Andy, 4. Jan.
Gratulation von meiner Seite, vor allem an Lukas, der den zweiten Platz von mir erbt! Es hat wieder Spaß gemacht.

Damit waren die Natural Games offiziell vorbei. Wir waren erschöpft und irgendwie zufrieden. Allerdings hatten wir alle noch einen Tag Zeit. Vor allem Bernhard und Lukas waren interessiert, noch einmal zum Highlinespot vom letzten Jahr zu gehen. Gemeinsam mit Grischa Rulle und Helmar Fasold aus Bayreuth machten wir uns auf den Weg, mit dem Plan, die „Kingline“ wieder aufzubauen – jene beeindruckende 64m Highline zu einer freistehenden Felsnadel (die viele Postkarten aus der Gegend ziert), und die bei den Natural Games 2009 das Maß der Dinge gewesen war – begangen nur von Andy Lewis und Damian Cooksey, von letzterem onsight. Auch ich hatte sie damals probiert – vergeblich. Inzwischen hatte diese Line eine weitere onsight Begehung gesehen, und zwar von Anatolij Maltsev.

Wir stiegen am Abend auf und machten uns an den Aufbau. Dabei beobachteten uns aus der Ferne vier Mädels aus Paris, die dort zum Wandern waren und auf dem Plateau übernachten wollten. Wir verbrachten den Rest des Abends mit den Damen, hatten viel Spaß und Mühe, rechtzeitig in unsere Schlafsäcke zu kommen, um fit für den kommenden Tag zu sein. So schön kann Highlinen sein! Ich könnt mich dran gewöhnen …
Als ich aufwachte, war Bernhard bereits auf der Line.

Die ersten Versuche scheiterten zwar, aber es war klar, dass diese Leine heute eine Begehung bekommen würde. Nachdem wir sie einmal nachgespannt hatten, war Lukas der erste, der die Felsnadel erreichte. Auch der Weg zurück gelang: Fullman! Doch das war erst der Anfang.
Der nächste, der auf der Line ins Gehen kam, war Bernhard. Wer ihn kennt, weiß, dass er eine Schwäche für lange Leashes hat. In diesem Fall war sie sechs Meter lang. (Deshalb gab es schon einige Diskussionen. Ich kann dazu nur sagen: Ein Highline-Setup muss genügend Sicherheitsreserven haben, um auch einen Sturz in diese Leash auszuhalten. Wenn ich Zweifel daran hätte, würde ich nie im Leben aufsteigen, auch nicht mit einer kurzen Leash.) Nach einigen Catches kämpfte auch er sich auf die andere Seite. Nicht ganz vom Rand, aber, wie er sagte: „Mit etwas gutem Willen geht es als Halfman durch.“ Für ihn zählte ohnehin nur der Fullman: die Begehung in beide Richtungen. Doch der Rückweg setzte ihm zu. Die Sache endete tatsächlich mit einem Leashfall, bei der er seine Uhr verlor. Bernhard quittierte es mit einem Grinsen: „Man kann nicht immer gewinnen!“ Es war jedenfalls beeindruckend zu sehen, wie man an einer 6m Leash wieder zur Leine aufsteigt.

Wie es mir ging? Nicht gut. Die Höhe setzte mir zu wie schon lange nicht mehr. Diese Line ist zwar eigentlich gar nicht besonders hoch, knapp 30m. Allerdings bricht zur Linken die Wand etwa 200m weit ab. Dieser Abgrund saugt einen regelrecht hinunter. Ich stellte mir immer wieder vor, was passiert, wenn man von der Line stürzt. In diesem Fall berührt man den Boden wahrscheinlich nur ein Mal – das nächste Mal dann erst am Wandfuß.
Tatsächlich war mein erster Versuch ziemlich gut. Ich schaffte auf Anhieb etwa ein Drittel, und das noch vor dem Nachspannen, wo sie recht locker war. Ich wusste also, die Leine liegt mir. Es ging nur darum, sich genügend zu sammeln, um die Konzentration lange genug aufrecht zu erhalten. Ich brauchte Stunden, bis ich es wieder probierte, und musste mich unglaublich überwinden – jeder, der zum ersten Mal eine Highline probiert, weiß, wie sich das anfühlt. Dennoch schaffte ich einen sauberen Sitzstart. Als ich ins Gehen kam, änderte sich etwas. Ich spürte den Widerstand des Bandes unter meinen Füßen und fühlte mich wohler. Einmal blieb die Leash hängen, doch ich ignorierte das Problem völlig.
Als ich fest genug zog, löste sie sich, schlug von hinten gegen meine Füße, und es ging weiter. Ich war überrascht, wie schnell das Plateau auf der Felsnadel näherkam. Auf den letzten Metern ging mir mein knappes Scheitern auf der 231m Leine bei den Days of Distance in Stubenberg durch den Kopf. Ich ging trotzdem weiter, und dann war ich drüben. Es war tatsächlich erst mein zweiter Versuch dieses Jahr, doch in meinem Kopf müssen es tausend gewesen sein, bis ich bereit war es zu tun, wovon ich wusste, dass ich es konnte.
Meine längste, schönste, geschichtsträchtigste Highline, und sicher eines meiner besten Slackline-Erlebnisse!

Das Schöne war: Auch Grischa konnte die Leine gehen, dann Hannes aus München, der ebenfalls mit von der Partie war. (Hannes hatte nach mehreren guten Versuchen irgendwie keine Lust mehr. Grischa und Helmar prügelten ihn regelrecht auf die Leine. Er krönte seine Begehung mit einem Korean Buttbounce am Ende.) Mich Kemeter stieß noch zu uns. Nach den 85m konnte diese Leine für ihn kein Problem sein! Wir täuschten uns nicht. Eine Richtung On Sight, die andere im zweiten Versuch. Als wir uns bereits auf dem Rückweg befanden, hörten wir plötzlich einen Jubelschrei. Helmar und Grischa wollten noch einen Tag oben bleiben. Wir nahmen an, dass auch Helmar es geschafft hatte. Für die Bestätigung werden wir einfach den Bericht der beiden lesen müssen (auf slacklineproject.blogspot.com).

So gingen die Natural Games 2010 etwas verspätet zuende. Danke an alle Beteiligten, besonders an Slack.fr für den Contest und die lässigen Highlines! Danke auch an Helmar und Grischa für den Aufbau der Kingline. Besonderer Dank gilt aber auch Michi Aschaber, der die Vision von der Kingline hatte und sie zum ersten Mal aufbaute. Schließlich danke ich an dieser Stelle auch AustriAlpin für die Unterstützung und die gute Zusammenarbeit, die es mir ermöglicht, mir so viel Zeit für meinen Sport zu nehmen.

Insgesamt hat sich gezeigt, dass der Slacklinesport einen riesigen Entwicklungssprung getan hat. Ich bin gespannt, was die Saison sonst noch so bringt.

Reini Kleindl


Danke an Holger Welsch für die Bilder)